Under Pressure…Management der arteriellen Hypertonie

An Patient*innen mit arterieller Hypertonie kommt man in der Inneren Medizin nicht vorbei. Eher lässt sich sagen, man trifft selten Patient*innen ohne diese Diagnose. Laut RKI hat bereits fast jede*r dritte Erwachsene eine diagnostizierte Hypertonie1. Aber wer bekommt überhaupt die Diagnose?

Aber wieso überhaupt genau diese Einteilungen?

Es lässt sich nicht sagen, welches die „wahren“ Grenzen zur arteriellen Hypertonie sind. Die Definitionen kommen aus Studien, die die Höhe bestimmter Blutdrücke mit der Inzidenz kardiovaskulärer Events beobachtet haben. Allerdings zeigte sich hier immer ein fließender Übergang in der Risikoerhöhung. Die Grenzen sind daher willkürlich ausgewählt, damit man in der Praxis Ankerpunkte hat. Zunehmend werden auch Korridore dargestellt, in denen Patient*innen ihren Blutdruck haben sollten.

Und wieso sollte mich jetzt der Blutdruck meines/meiner Patient*in interessieren, wenn es so eine 0-8-15 Erkrankung ist?

Weil für all diese Erkrankungen….

  • Hypertensive Herzerkrankung
  • Herzinsuffizienz
  • Ischämischer Schlaganfall
  • Intrazerebrale Blutung
  • Koronare Herzerkrankung
  • Chronische Nierenerkrankung
  • Dementielle Erkrankungen

die Hypertonie der wichtigste modifizierbare Risikofaktor ist. Und das heißt, wir können da was tun! Außerdem entwickelt im Laufe des Lebens fast jeder Mensch eine Blutdruckveränderung, die auch Auswirkungen auf das weitere Leben haben kann.

Die Diagnose ist so einfach und schnell wie sonst kaum eine:

Ist der gemessene Blutdruck über 140/90 mmHg, ist die Diagnose gestellt. Bei Patient*innen mit Werten knapp über 140/90 mmHg oder Schwankungen (zum Beispiel mal 137/87 mmHg, bei der nächsten Vorstellung 141/95 mmHg)  helfen die 24-Stunden Blutdruckmessung oder selbstständige Eigenmessungen zuhause  in der Diagnostik.

Und warum hat mein*e Patient*in überhaupt Hypertonie?

Man teilt ein in

  • primäre arterielle Hypertonie: die genaue Genese ist bis heute unklar, jedoch besonders starke Assoziation mit Hypertonie in der Familie und auch Assoziation mit Alter, Übergewicht, reduzierter Nephron-Anzahl, salzreicher Ernährung, exzessivem Alkoholkonsum, körperlicher Inaktivität und Nikotinkonsum
  • sekundäre arterielle Hypertonie: durch Medikamente (u.a. orale Kontrazeptiva, NSAR, Glukokortikoide, Tacrolimus, CyA,…), Drogen (Methamphetamine, Kokain), Nierenerkrankungen, Hyperaldosteronismus, Nierenarterienstenose, OSAS, und sehr selten Phäochromozytom, Cushing Syndrom, andere endokrine Ursachen (Schilddrüsenüberfunktion, aber auch Schilddrüsenunterfunktion, Hyperparathyreoidismus) und heute als Rarität eine Aortenisthmusstenose

Ich habe die Diagnose gestellt. Was jetzt?

Die Berechnung des kardiovaskulären Risikos kann nach

ESC-Empfehlung mit score-charts.pdf (escardio.org) erfolgen.

Die Berechnung des kardiovaskulären Risikos ändert nichts an der Therapie oder den Zielwerten, bietet aber Gesprächsstoff mit der/dem Patient*in.

Dann gehört natürlich noch die Anamnese dazu, insbesondere bezüglich des Rauchens und Alkohol.

Wen soll ich auf sekundäre Hypertonie testen, wenn die primäre so häufig ist?

  • ungewöhnliche Präsentation (Pat. jung (<40J), oder ED in hohem Alter, Blutdrücke plötzlich sehr hoch)
  • Ist Ihr Blutdruck plötzlich angestiegen und vorherige Messung waren “normal”/niedriger?
  • therapieresistente Hypertonie (Definition später im Text)
  • Ist Ihr Blutdruck weiterhin zu hoch, obwohl Sie die Medikamente regelmäßig eingenommen haben?
  • hinweisende Befunde (abdominelle Strömungsgeräusche, Hypokaliämie, anfallartige Hypertension mit Blässe und Schweißausbruch, anamnestische Hinweise auf Schlafapnoe, Muskelschwäche)
  • Haben Sie Momente, in denen der Blutdruck plötzlich stark erhöht ist?
    Erleben Sie Anfälle, in denen Sie plötzlich anfangen zu schwitzen und hat Ihnen vielleicht dabei jemand gesagt, dass Sie auf einmal ganz blass aussehen?
    Fühlen Sie sich morgens unausgeschlafen oder haben Sie tagsüber Konzentrationsstörungen?
    Hat Ihre Frau bemerkt, dass Sie nachts “komisch” atmen oder sogar Atemaussetzer haben?
    Haben Sie manchmal das Gefühl, plötzlich ganz schwach zu werden?

Nun weiter zur Therapie:

Überall steht als Erstes die sogenannte „Lifestyle Modifikation“: was bringt’s?

  • Salzreduktion unter 5g/d bringen Blutdruckreduktion von systolisch 4.8mmHg und diastolisch 2.5mmHg2
  • Gewichtsabnahme bringt Blutdruckreduktion von 0.5-2mmHg pro Kilogramm3
  • körperliche Aktivität kann den Blutdruck bis zu systolisch 6.9mmHg und diastolisch 4.9mmHg4 senken

Und die Pharmakotherapie?

Verschiedene Guidelines und Metaanalysen kommen zu dem Ergebnis, dass nicht die Wahl des Medikamentes, sondern die Blutdrucksenkung das Entscheidende für die kardiovaskuläre Risikoreduktion sind.

In den ESH-Guidelines (übersetzt in den Pocket Leitlinien) sind folgende super übersichtliche Schemata, nach denen man sich schnell und einfach richten kann:5,6

Patient*innen mit unkomplizierter Hypertonie:

Interessant ist, dass hier erst auf Stufe 3 ein Betablocker dazu kommt (außer es gibt hierfür eine spezifische Indikation). Beginne standardmäßig mit einer Zweifachtherapie.

Patient*innen mit Hypertonie und KHK:

Patient*innen mit chronischer Nierenerkrankung (CKD):

Ein entsprechendes Schema für Patient*innen mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) und für Patient*innen mit Vorhofflimmern findet ihr ebenfalls in den ESH-Guidelines.

Therapieziel: Blutdrücke von unter 140/90 mmHg sollte angestrebt werden. In Pat. >65 Jahre sollten Blutdrücke zwischen 130-140 mmHg angestrebt werden, in Pat. <65 Jahre sollte in Richtung 130 mmHg systolisch gesenkt werden.

Auch in sehr alten Patient*innen (>80 Jahre) ist eine antihypertensive Therapie sinnvoll und RCTs konnten eine Senkung des kardiovaskulären Risikos und der Mortalität in dieser Gruppe zeigen. Hier kann zu Beginn auch eine Monotherapie erwogen werden. Schleifendiuretika und Alphablocker sollten, wenn möglich, vermieden werden, da diese Präparate mit erhöhter Sturzneigung einhergehen. Zielblutdrücke sind hier 130-140 mmHg, systolische Blutdrücke unter 130 mmHg sollten vermieden werden. In dieser Patientengruppe solltest du besonders aufmerksam auf Nebenwirkungen, Begleiterkrankungen und den Allgemeinzustand der/des Patient*in sein.

Patient*innen mit 3 Antihypertensiva (hierunter ein Diuretikum) in maximal verträglicher Dosis und hierunter weiterhin unkontrollierten Blutdrücken haben eine therapieresistente Hypertonie.

Die erste Empfehlung ist dann Spironolacton, ein anderes Diuretikum, Betablocker oder einen Alphablocker hinzuzunehmen.

Wenn möglich, Kombinationspräparate vorziehen!

Denn: Weniger Tabletten = höhere Compliance

Und welches Präparat soll ich nehmen?

Wir geben hier keine Medikamentennamen an, aber bei den Diuretika sollte folgendes bedacht werden:

Thiazide/Thiazid-ähnliche Diuretika

  • Chlorthalidon und Indapamid sind potenter und reduzieren das kardiovaskuläre Risiko mehr als Hydrochlorothiazid7, Chlorthalidon senkt den Blutdruck sogar zwischen 12.4-17.1mmHg8. Chlorthalidon hat eine längere HWZ als HCT.
  • Prinzipiell ist aber auch eine gute Blutdruckeinstellung mit HCT zu erreichen. Die Äquivalenzdosis von HCT 50mg ist Chlothalidon 25mg. Die gängigen Dosierungen von HCT liegen jedoch bei 12,5-25mg. Zudem gibt es bisher leider in Deutschland keine gängigen Kombinationspräparate mit Chlorthalidon.
  • Für HCT gibt es inzwischen einen Rote Hand Brief, da sich in Studien ein erhöhtes Risiko für nichtmelanozytären Hautkrebs gezeigt hat. Das ist dadurch zu erklären, dass in HCT zwei Sulfongruppen vorliegen, die durch Sonneneinstrahlung zerfallen können und sich damit reaktive Sauerstoffradikale bilden. Das kann dann in hohen Dosen das Hautkrebsrisiko steigern. Andere Diuretika, wie z.B. Chlorthalidon oder Furosemid, haben ebenfalls Sulfongruppen. Bei Indapamid ist das Hautkrebsrisiko größer als bei HCT- bisher gibt es hierfür jedoch keinen Rote Hand Brief.
  • Da HCT in vielen Kombinationspräparaten vorhanden ist, solltet ihr abwägen- weniger Tabletten, mehr Compliance, erfolgreichere Blutdrucksenkung…
  • Wenn ihr HCT nutzt, informiert eure Patient*innen über Sonnenschutz bei direkter Exposition!
  • an Hypokaliämie-Monitoring denken (insb. innerhalb der ersten 14 Tage)

Verapamil und Dilitiazem sind in der Hochdrucktherapie nicht mehr empfohlen.

Morgens oder abends?

Schonmal von Nondipping gehört? Der Blutdruck fällt in der Regel um ca. 15% nachts. Fällt er weniger als 10%, spricht man von Nondippern oder fehlender Tag/Nacht Rhythmik. Dies ist ein stärkerer Prädiktor für kardiovaskuläre Events als erhöhte Blutdrücke tagsüber! Die Studienlage ist sich hier jedoch bezüglich der Frage, wann man die Medikation einnehmen soll, uneinig und es funktioniert meist nicht, durch die Medikation ein Dipping wieder herzustellen. Bei auffälligen Blutdrücken nachts sollte man weitere Diagnostik im Hinblick auf ein OSAS einleiten.

Wann soll ich wieder kontrollieren?

Eine Therapie hat nach vier Wochen spätestens ihren vollen Effekt erreicht. Also die/den Patient*in nach vier Wochen wieder einbestellen. Wenn der Blutdruck gut eingestellt ist, dann sollte die nächste Vorstellung nach 3 Monaten einmal und dann in Abständen von 6 Monaten erfolgen. Wichtig ist vor allem auch die Selbstmessung der Patient*innen zuhause.

Eine Überweisung in eine hypertensiologische Sprechstunde ist bei dringendem V.a. sekundäre Hypertonie oder bei therapieresistenter Hypertonie sinnvoll.

Eine Überweisung an entsprechende Fachärzt*innen zur Beurteilung von hypertensiven Endorganschäden sind empfehlenswert (zB Überweisung an eine kardiologische Praxis zum Echo zur Beurteilung einer möglichen linksventrikulären Hypertrophie oder zur Augenärzt*in), jedoch liegen hierfür keine Daten vor und es werden keine genauen Empfehlungen in den Leitlinien gegeben.

Dieser Artikel wurde reviewed von und entstand in Zusammenarbeit mit Prof. Markus van der Giet (Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin, Hypertensiologe DHL, Clinical Hypertension Specialist ESH).

Quellen/ weiterer Lesestoff:

1.        Neuhauser, H., Kuhnert, R. & Born, S. Prävalenz Bluthochdruck. J. Heal. Monit. (2017).

2.        He, F. J., Li, J. & MacGregor, G. A. Effect of longer term modest salt reduction on blood pressure: Cochrane systematic review and meta-analysis of randomised trials. BMJ (Online) (2013) doi:10.1136/bmj.f1325.

3.        Stevens, V. J. Weight loss intervention in phase 1 of the Trials of Hypertension Prevention. The TOHP Collaborative Research Group. Arch. Intern. Med. (1993) doi:10.1001/archinte.153.7.849.

4.        Fagard, R. H. & Cornelissen, V. A. Effect of exercise on blood pressure control in hypertensive patients. European Journal of Preventive Cardiology (2007) doi:10.1097/HJR.0b013e3280128bbb.

5.        Williams, B. et al. 2018 practice guidelines for the management of arterial hypertension of the European society of cardiology and the European society of hypertension ESC/ESH task force for the management of arterial hypertension. Journal of Hypertension vol. 36 (2018).

6.        European Society of Cardiology; Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. ESC Pocket Guidelines Management der arteriellen Hypertonie. Börn Bruckmeier Verlag GmbH (2018).

7.        Roush, G. C., Ernst, M. E., Kostis, J. B., Tandon, S. & Sica, D. A. Head-to-head comparisons of hydrochlorothiazide with indapamide and chlorthalidone: Antihypertensive and metabolic effects. Hypertension (2015) doi:10.1161/HYPERTENSIONAHA.114.05021.

8.        Ernst, M. E. et al. Comparative antihypertensive effects of hydrochlorothiazide and chlorthalidone on ambulatory and office blood pressure. Hypertension (2006) doi:10.1161/01.HYP.0000203309.07140.d3.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *